Aus der neuen Welt
15. März 2005
//Berlin// Bin zurück in Berlin von meinem fast zweiwöchigen New-York-Trip. Noch sträubt sich mein vom Jet-Leg verwirrter Körper gegen das Frühstück zu ungewohnter Zeit, noch fühle ich mich in Berlin wie ein Tourist der mit neugierigem Blick Land und Leute wieder mit neuen, offenen, verwunderten Augen sieht. Noch sind die Eindrücke und Gedanken der letzten Tage so frisch, dass ich das Gefühl habe, sie erst niederschreiben zu müssen, um alles fassen und ordnen zu können was als gewaltige Lawine in mich hineingeströmt ist.
Habe mein Büchlein – amerikanische Jungs nennen es ‘journal’ und nicht ‘diary’, denn das ist ist nur was für Mädchen – auf dem Rückflug mit zwei Seiten voller Stichwörter gefüttert bis mein Stift aufgab und sich Paris vor meinem Fensterchen schon als glühender Fleck ins friedliche Dunkel der Nacht brannte, bevor wir sicher angeschnallt in seinen Schlund hinabstiegen. Ich will versuchen, ein paar dieser Stichwörter auszumalen.
Ankunft auf den New Yorker JFK-Flughafen und ich fühlte mich zu meiner Überraschung an Moskau erinnert – genauer an die russische Arbeitsbeschaffungsmaschinerie: An den Metro-Ticket-Automaten empfangen den Amerika-Neuankömmling ein Rudel freundlicher uniformierter Menschen. Für die sich entmündigt fühlenden Touristen drücken sie die Tasten eben des Gerätes, dass einmal geschaffen wurde, um das Personal am Fahrkartenschalter einzusparen. Diese staatlich oder privat bezahlten working-poor begegneten mir immer und überall wieder: Sie stehen zusammen mit der Ampel am Straßenrand und machen unisono mit ihr darauf aufmerksam, wann man die Straße gefahrlos überqueren kann; sie arbeiten auf Trinkgeld hoffend als Handtuchhalter auf den Toiletten der schicken Clubs; sie räumen an den Supermarktkassen den Einkauf in weiße Plastiktüten; sie sitzen Tag und Nacht in Wohn- und Geschäftshäusern an Eingängen und drücken den Türsummer, noch bevor man seinen Schlüssel aus der Tasche ziehen kann und verkaufen außerdem die Plastik-Wertmarken für die Waschmaschinen-Automaten im Keller. In meinem Zwölfgeschosser am Times-Square bewachte Charly die Haustüre – ein netter, graumelierter Herr von wohl fünfzig Jahren. Er malte stundenlang Bilder aus oder saß mit sehnsuchtsvollem, starren Blick über seinem Waffenkatalog gebeugt. Gefesselt vom Objekt seiner Begierde – einen neuen, glänzenden Revolver, der ihn zwei ganze Monatsgehälter kostet und somit wohl noch eine Weile Teil seines amerikanischen Traumes bleiben wird.
Noch wirken diese Bilder des “amerikanischen Jobwunders” auf einen Europäer befremdend. Doch sie sind auch wie ein böses Omen, ein Blick in die Zukunft, wenn man sich die Reden von Clement, Schröder, CDU, Arbeitgeberverbänden oder Wirtschaftsweisen über die Beschäftigungspotentiale im Niedriglohnsektor ins Gedächtnis ruft. Diese Arbeitsplätze – so billig wie nutzlos – sind die neue Antwort auf das Ende der Arbeitsgesellschaft. Diese neuen Maschinenstürmer stellt man der Maschine einfach als schmückendes Beiwerk zur Seite, anstatt die “gewonnene Arbeitszeit” für eine sinnvollere Beschäftigung zu nutzen. Das Schöne an Charly ist, dass er nicht auf dumme Gedanken kommt und zu zweifeln beginnt, sondern in ein paar Monaten wirklich in den kleinen Waffenladen um die Ecke gehen und sich vom Geld für abgesessene Stunden dieses schmucke Schießeisen kaufen wird. Dann es ist ihm auch egal, dass der Colt den er schon zu Hause liegen hat das Blei präziser in sein Ziel steuert. Einfach nicht darüber nachdenken, sonst funktioniert es nicht und Charly wird keinen Spaß am Kauf haben.
Insofern wirkt die Rückkehr ins “old europe” fast beruhigend. Vielleicht fehlt uns hier das nötige Wirtschaftswachstum, vielleicht liegt es daran, dass wir uns noch zu fein sind für bestimmte Jobs. Vielleicht fehlt uns der nötige Optimismus und die Lust am Kaufen, wenn wir kleinkariert unser Geld für schlechte Zeiten zur Stadtsparkasse tragen, wenn wir unser Süppchen noch selber kochen und zu Hause löffeln, anstatt täglich ins Restaurant zu gehen. Es mag altmodisch sein, wenn man es sich verkneift mit einem bequemen Konsumentenkredit diesen wahrlich schicken kleinen weiß-silbrigen und furchtbar teuren iPod zu kaufen, den bereits halb New York stolz spazieren trägt. Nicht mehr up to date ist, wer seine Halbstundentelefonate noch von zu Hause führt, anstatt bequem im Cafe bei einer Latte Macchiato. Eine gut laufende Ökonomie hat ihren Preis.
Doch bewegt man sich durch New York und betritt die Einkaufswelten, das Rockefeller Center, das Empire State Building oder auch nur Wohnungen dieser Stadt, so spürt man einen längst verblassten Glanz glorreicher 70er Jahre: Herabhängende Kabel von den Decken, wochenlang kaputte Aufzüge, kaum eine Wohnung in der sich die Fenster richtig schließen lassen und wo nicht irgendwo leise der Dampf aus einem Heizungsrohr pfeift oder der Wasserhahn tropft. Es scheint, als hätte man es allerorts vor mindestens 20 Jahren aufgegeben zu modernisieren. In einem Magazin für schönes Wohnen erklärt man dem amerikanischen Häuslebauer und Immobilienbesitzer, dass es inzwischen auch Glühbirnen gibt, die weniger Strom brauchen und dabei nicht einmal dunkler sind als herkömmliche 60-Watt-Birnen und vor allem – sie rechnen sich langfristig sogar. In Europa hätten sie sich bereits durchgesetzt. Ich habe eine Französin getroffen, die allein 200 Dollar für Strom pro Monat für ihre kleine Wohnung ausgeben muss, weil die Heizung nicht will, die Fenster so dicht sind wie Gitterstäbe und nur der Elektrolüfter Ihre Füße noch warm hält. Alles kein Problem, solange man genug Geld verdient. Das Energieproblem wird nicht als eines der Umwelt oder knapper Ressourcen verstanden, sondern Energie ist nur Frage des Geldes. Wenn man die 800 Dollar Miete für eine kleine Wohnung abgestottert hat – wobei niemand weiß, wie viel davon Wasser- oder Heizungskosten sind – steckt man das übrige Geld lieber in schnell glücklich machende Konsumgüter als in die bröckelnde Infrastruktur. Die Zeithorizonte sind kurz und der Konsum schnelllebig.
Bevor jetzt der Eindruck entsteht, ich wolle zu den gerade in Mode gekommenen europäischen Schwarz-Weiß-Zeichnungen unterlegener amerikanischer Kultur und Lebensweise ein weiteres Puzzlesteinchen hinzufügen, soll aber enttäuscht werden. Ich habe die New Yorker als äußerst interessierte, aufgeschlossene, höfliche, gebildete, beileibe nicht beleibte und sehr, sehr freundliche Menschen kennen gelernt. Man wird gefragt, wie das Leben in Europa ist, ist verliebt in die Unkompliziertheit und den Charme von Berlin insofern man es gesehen, will wissen, was man von den USA und ihrer Politik hält. Für einen New Yorker gehört es zum guten Ton, in jedem Gespräch eine abfällige Bemerkung über Bush und seine Neokonservativen einzubauen. Bei Mc’Donalds und Burger-King trifft man vor allem ausländische Touristen oder Leute, die wie ich auf der Suche nach einer sauberen, kostenlosen Toilette sind. Die Metro in NYC funktioniert mindestens so gut wie die Berliner, sie fährt die ganze Nacht hindurch und billiger ist sie auch noch. Im Übrigen habe ich “den Amerikaner” nicht getroffen – die Menschen sind in den Gesichtern und Köpfen bunter als ich es irgendwo zuvor gesehen, wenn auch deutlich weniger ausgeflippt als das, was sich auf Berliner Straßen durch Friedrichshain, Prenzel- oder Kreuzberg bewegt. In Queens wird nicht mehr wild geschossen, sondern es stehen kleine Marien-Statuen und Osterhasen in den Vorgärten. Man kann des Nachts entspannt und fröhlich pfeifend durch die Straßen von Harlem spazieren, randalierende Jugendbanden, die italienische Mafia oder Schießereien fand ich weder in Chinatown, Litte Italy, Brooklyn noch der Bronx. Ein New Yorker Fernsehsender legt gerade “Kojak” wieder neu auf und ich fürchte, es könnte eine furchtbar langweilige Serie werden, wenn man sich nicht was Gutes einfallen lässt. Echte Probleme findet man nur noch bei “Sex in the City”.
Ich kann nur allen Amerika-Verdrossenen empfehlen einen billigen Flug zu buchen und ein paar Tage Big-Apple unsicher zu machen. Es ist anders als man denkt, besser als man denkt und man kann danach wieder mit erstaunten Kinderaugen über unser eigenes schönes Ländchen staunen und sich wundern, warum wir uns beschweren – über die Amerikaner und über unsere eigene Situation.
Danke für die Geduld beim Lesen.
tom